Rechtsstaat: Offene Türen gehören zu seinen Grundpfeilern

Manchmal erlebt man als Rechtsanwalt Dinge im Gerichtssaal, die man bis dahin nur aus juristischen Lehrbüchern kannte. So war ich neulich in einer Strafverhandlung, in der nach einigen Stunden festgestellt wurde, dass die Eingangstür zum Zuschauerraum verschlossen war. Das klingt profan, rüttelt aber an den Grundfesten unseres Rechtssystems.

Gerichtsverfahren finden in Deutschland öffentlich statt. Dieser Satz steht nicht im Grundgesetz, kann aber Art. 6 I der Europäischen Menschenrechtskonvention (faires Verfahren) entnommen werden. Dort heißt es, dass Presse und Öffentlichkeit während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden können. Im Umkehrschluss: Grundsätzlich wird öffentlich verhandelt. Das ist prägend für unseren Rechtsstaat. Ausnahmen gibt es für Jugendstrafverfahren, Familien- und Unterbringungssachen.

Wird die Öffentlichkeit jedoch zu Unrecht ausgeschlossen, so hat die Verteidigung einen absoluten Revisionsgrund auf ihrer Seite. § 338 Nr. 6 StPO lautet: „Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind.“

Eine Gerichtsverhandlung ist dann öffentlich, wenn potenzielle Zuhörer die Möglichkeit des Zutritts haben. Und das ist wortwörtlich gemeint. Der tatsächliche Zutritt zum Verhandlungsraum muss garantiert sein. Und darüber hinaus müssen Zeit und Ort des Termins außen am Gerichtssaal auf der „Terminrolle“ verzeichnet sein. Nur so weiß der Bürger, was hinter der Saaltür passiert.

Aufgrund der verschlossenen Tür entschied die Strafkammer in meinem Gerichtstermin, die Verhandlung am Nachmittag von vorne beginnen zu lassen. Das erscheint auf den ersten Blick lästig und überreagiert. Es ist aber Ausdruck eines gerade in diesen Zeiten gar nicht hoch genug zu haltenden Rechtsstaats.

Art. 6 I der Europäischen Menschenrechtskonvention

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