„Legendierte Polizeikontrolle“ – Was ist das denn bitte?

Als Rechtsanwalt erlebt man so manchen legendären Fall. Eine legendierte Polizeikontrolle ist mir aber noch nicht untergekommen. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste nun über die Zulässigkeit einer solchen „legendierten“ Polizeikontrolle entscheiden. Dabei lag folgendes Geschehen zugrunde:

Der Angeklagte war Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft (StA) Frankfurt a.M. gegen eine marokkanische Tätergruppe. Es ging um den Verdacht von Betäubungsmittelstraftaten. Durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen hatte die Kriminalpolizei konkrete Hinweise auf einen Betäubungsmitteltransport des Angeklagten erhalten. Organisiert hatte den der zu diesem Zeitpunkt vorübergehend in Marokko befindliche „Chef“ der Gruppe. Tatsächlich hatte der Angeklagte von einer unbekannten Person in den Niederlanden Kokain übernommen. Er beabsichtigte, dieses zum Weiterverkauf nach Deutschland einzuführen. 

Die polizeiliche Maßnahme

Die Kriminalpolizei konnte über einen am Fahrzeug des Angeklagten angebrachten Peilsender feststellen, wann er sich wieder auf der Autobahn in Deutschland befand. Sie entschloss sich, das Fahrzeug von der Verkehrspolizei Wiesbaden im Rahmen einer Verkehrskontrolle anhalten und durchsuchen zu lassen. So sollten die mitgeführten Betäubungsmittel sichergestellt werden. Die Polizei fand bei dieser „legendierten“ Polizeikontrolle im Inneren des Fahrzeugs insgesamt knapp 8 kg Kokain.

Ein richterlicher Beschluss für die Durchsuchung des Fahrzeugs wurde nicht eingeholt, um nicht die im Hintergrund geführten verdeckten Ermittlungen offenbaren zu müssen. Man wollte den vorübergehend in Marokko weilenden Hintermann nicht warnen. Der Ermittlungsrichter erließ gegen den Beschuldigten Haftbefehl in Unkenntnis der im Hintergrund laufenden Ermittlungen. Erst nach Festnahme des wieder nach Deutschland eingereisten Hintermanns, aber noch vor Anklageerhebung gegen den Beschuldigten, wurden die Erkenntnisse aus dem in Frankfurt geführten Ermittlungsverfahren offengelegt.

Und das sagt der BGH:

Der BGH hat die Revision des Angeklagten, mit der dieser ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht hat, als unbegründet verworfen. Der Senat hat entschieden, dass die Durchsuchung des Fahrzeugs des Angeklagten auf das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestützt werden konnte. Das setzt eine vorherige richterliche Anordnung nicht voraus. Es besteht weder ein allgemeiner Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt. Bei Gemengelagen, in denen sowohl repressives als auch präventives polizeiliches Handeln in Betracht kommt, bleiben strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche Ermächtigungsgrundlagen grundsätzlich nebeneinander anwendbar.

Die im Rahmen der Fahrzeugdurchsuchung sichergestellten Betäubungsmittel waren als Beweismittel im Strafprozess gegen den Angeklagten verwertbar. Die Verwendung polizeirechtlich gewonnener Erkenntnisse im Strafverfahren setzt voraus, dass diese – wie hier – rechtmäßig erhoben wurden. Sie müssen zur Aufklärung einer Straftat dienen, aufgrund derer eine solche Maßnahme nach der Strafprozessordnung hätte angeordnet werden dürfen.

Geht die Polizei nach Gefahrenabwehrrecht vor und besteht gleichzeitig der Anfangsverdacht einer Straftat gegen den Beschuldigten, ist zur Gewährleistung eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens folgendes sicherzustellen: Die Polizei muss die Staatsanwaltschaft zeitnah, wahrheitsgemäß und vollständig über die Hintergründe der polizeilichen Maßnahmen informieren. Spätestens mit Anklageerhebung muss der für den Anklagevorwurf maßgebliche prozessuale Sachverhalt vollständig offen gelegt werden; dies war hier geschehen.

BGH, Urteil vom 26. April 2017, 2 StR 247/16

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